Ist eine funktionelle Verbindung zwischen Diaphragma und Cranium palpierbar? Versuch der Deutung mittels des Tensegrity-Modells

Koschella S.

Hintergrund: Der Begriff Tensegrity hat in den letzten Jahren Einzug in die osteopathische Literatur gefunden. Tensegrity versucht zu erklären, warum sich Bewegungen, die mit Spannung verbunden sind, auf den gesamten Organismus ausbreiten (Lee 2000).

Studienziel: Darstellung des Tensegrity-Modells - von seinen Ursprüngen in der Architektur bis zu seinem Erscheinen im osteopathischen Konzept (Teil I). Weiterhin soll mit einer experimentellen Überprüfung der Frage nachgegangen werden, ob eine funktionelle Verbindung zwischen dem Diaphragma und dem Cranium palpierbar ist und diese Verbindung mittels Tensegrity-Modells zu erklären ist (Teil II).

Studiendesign: Literaturstudie (Teil I) und Grundlagenstudie (Teil II)

Material und Methoden: Primärer Zielparameter war die Wahrnehmung einer Spannungsveränderung im craniellen Ausdruck nach einer Torsionsbewegung im Bereich des Diaphragmas. Sekundär sollten Veränderungen von eventuell vorhandenen Dysfunktionen der Synchondrosis sphenobasilaris (SSB) erfasst werden, wenn die Bewegungen am Diaphragma ausgeführt werden. Weiterhin sollte untersucht werden, ob Dysfunktionen mit Ursprung Cranium beziehungsweise Ursprung Körper durch Bewegungen am Diaphragma beeinflusst werden. 60 Probanden wurden in die Studie eingeschlossen. Ein erfahrener Osteopath (in einer Pilotuntersuchung vorher „geeicht“) nahm die Palpation am Cranium vor. Durch zufällige Zuteilung wurden drei Gruppen gebildet. Ein zweiter Osteopath führte (je nach Gruppenzuordnung) folgende Bewegungen am Diaphragma durch: Torsion nach rechts, Torsion nach links oder keine Bewegung. Der Therapeut am Cranium war verblindet und konnte nicht sehen, welche Bewegung durchgeführt wurde. Palpiert wurde vor und nach der induzierten Bewegung.

Ergebnisse: Teil I, Literaturarbeit Tensegrity: 38 Quellen zum Thema Tensegrity wurden gesichtet, wobei eine Einteilung in Studien zu Tensegrity in der Architektur (7), zu Tensegrity in der Zelle (14), zu Tensegrity in Körpergeweben (3) Tensegrity im Körperbau des Menschen (7) und zu Tensegrity im osteopathischen Konzept (7) getroffen werden konnte. Einen guten wissenschaftlichen Standard wiesen nur die Arbeiten im Bereich der Architektur, der Zelle und des Körpergewebes auf.

Teil II, Experimenteller Teil: Bei den 37 Probanden, bei denen eine Torsion rechts oder links am Diaphragma ausgeführt wurde, konnte bei 36 eine Spannungsänderung am Cranium festgestellt werden (97%). Bei den 23 Probanden, bei denen keine Bewegung am Diaphragma ausgeführt wurde, konnte der Untersucher bei 21 Probanden keine Veränderung am Cranium feststellen (91%). Bei den Nebenparametern veränderten sich Dysfunktionen mit Ursprung Körper zu 15%, wenn keine Intervention am Diaphragma gemacht wurde und zu 71%, wenn eine Intervention am Diaphragma gemacht wurde. Dysfunktionen mit Ursprung Kopf veränderten sich deutlich weniger.

Fazit (conclusions): Die Studie hat ergeben, dass der Untersucher Torsionen am Diaphragma als Spannungsveränderungen am Cranium palpieren konnte. Für die Nebenparameter war die Probandenanzahl zu gering, um wirkliche Aussagen treffen zu können. In weiteren Untersuchungen sollte geklärt werden, ob diese Ergebnisse reproduzierbar sind. Das Tensegrity-Modell scheint insgesamt ein geeignetes Modell zu sein, osteopathische Zusammenhänge zu verstehen. Verbindungen zwischen Funktionen des Körpers und diesem Modell lassen sich herstellen. Ob der Körper aber tatsächlich so funktioniert, bleibt weiterhin eine Hypothese.